gepostet 05.11.2022
Die Steilküste von Capri düster im Nebel, so malte 1911 der „Urvater der Alternativbewegung“ Karl Wilhelm Diefenbach das Promi-Paradies, auf dem er seinen Lebensabend verbrachte. Das Ölbild in Anlehnung an Böcklins berühmter „Toteninsel“ wird im Berliner Auktionshaus AD fine art auf 8.000€ taxiert und fällt aus der Zeit bei den über 400 Losen zur modernen und zeitgenössischen Kunst, die während der Vorbesichtigung zu sehen sind. Gute vertreten ist die ostdeutsche Kunst, große Formate dominieren.
Ein Chronist des Wiederaufbaus der kriegszerstörten Stadt Dresden war Gerhard Stengel, der 1954 eindrucksvoll die Baustelle des Zwingers festhielt (4.500€). Zu den wenigen Naiven der DDR-Kunst gehörte der Hallenser Albert Ebert, dessen „Silberhochzeit“ unter kahlen Bäumen von 1959 mit 6.000€ aufgerufen wird. Schwer zu dechiffrieren ist die „Leipziger Venus“ von Wolfgang Mattheuer von 1978, bei der sich Stasi-Bespitzelung mit männlicher Begierde zu verbinden scheint (30.000€).
Die klassische deutsche Avantgarde ist vor allem mit Papierarbeiten von Max Beckmann über Conrad Felixmüller bis zu den Brücke-Künstlern vertreten. Mit 9.000€ geht Otto Dix‘ Radierung eines Artistenpaares von 1922 an den Start. Doppelseitig inszenierte Christian Rohlfs im selben Jahr das Porträt einer Frau in grellem Orange und gedämpften Rotbraun (15.000€). Fast altmeisterlich wirkt das Blumenstilleben von Richard Seewald in sattem Kolorit von 1817, das Seltenheitswert hat, da der Maler nach dem Tod seiner Gattin 1967 viele frühere Werke vernichtetet (7.000€).
Eine Sonderauktion gilt bei Ad fine art George Grosz. Unter den Hammer kommen 55 Werke aus Privatbesitz, der Fokus liegt auf selten gezeigten Arbeiten. Geboren als Georg Groß 1893 in Berlin, war der Allrounder bis zu seinem Tod 1959 der Metropole nahezu verfallen, auch als er, 1933 von den Nazis verfemt und verfolgt, ein gutes Vierteljahrhundert im amerikanischen Exil verbrachte. Das Gros der Lose betrifft Grafiken aus allen Phasen, beginnend 1912 und mit einer taxe ab 2.000€. Grosz wurde in der Weimarer Republik zum Pazifisten und Kritiker einer Gesellschaft, deren Abgründe er mit vehementem Strich und oft beißender Ironie skizzierte. Stupide Militaristen tauchen neben Kriegskrüppeln im Blatt „Warum wir nichts mehr wissen wollen“ von 1927 auf, bei dem die schiefen Kreuze an die Schlachtfelder des vergangenen Krieges erinnern (6.000€) Aber auch der Spießer mit Gattin kommt vor wie in der großen Zeichnung „der Kuss“ (18.000€) aus dem Jahr 1928. Geradezu anmutig wirken dagegen die Aquarelle und Zeichnungen aus Südfrankreich, wo sich Grosz 1927 für einige Monate aufhielt: (6.000€/12.000€).
Selten hat Grosz sich selbst konterfeit: 1937 per Rohrfeder als Freiluft-maler mit Stoppelbart und Pfeife oder 1936 in Aquarell als müde über die Dünen von Cape Cod stapfender Robinson Crusoe (3.500€/7.500€). Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, dessen Staatsbürgerschaft er 1938 erwarb, wurde Grosz nicht nur von Heimweh, sondern auch von Depressionen und Alkoholismus geplagt. In Berlin erinnert Das Kleine Grosz Museum an ihn.
Angelika Leitzke, Der Tagesspiegel, Nr. 25 064 / 05.11.2022